Wenn Medikamente knapp(er) werden…
Schon im Sommer des vergangenen Jahres schreckten Meldungen auf, dass Fiebersäfte für kleine Kinder schwer erhältlich seien. Wenig später galt das auch für Antibiotika und sogar Mittel für die Krebstherapie. Freiwillige Meldungen der Medikamentenhersteller zu derlei Lieferengpässen sammelt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in einem Register. Dort gingen laut Angabe der Stiftung Warentest vom Juli 2023 (https://www.test.de/Paracetamol-und-Ibuprofen-Fiebersaft-fuer-Kinder-ist-weiter-knapp-5884492-0/) im Jahre 2013 nur 42 Meldungen ein, während es aktuell ungefähr 500 seien.
Da überrascht es nicht, dass dieses Thema auch an den Bürgerbeauftragten herangetragen wurde. Bei ihm beklagte sich eine Bürgerin und schilderte, dass ihr Mann Diabetiker und u.a. auf das Medikament „Ozempic“® angewiesen sei. „Das letzte Rezept dafür hat mein Mann vor 4 Wochen erhalten und seitdem liegt es bei der Apotheke, aber die kann nicht liefern. Das kann doch nicht sein!“ ließ die Bürgerin ihrem Ärger freien Lauf, denn sie und ihr Mann befürchteten bei einer weiteren Einnahmeverzögerung negative Auswirkungen auf den ohnehin schon angeschlagenen Gesundheitszustand.
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Lösungsansatz und Ergebnis:
Das Präparat „Ozempic“® mit dem pharmakologischen Wirkstoff Semaglutid ist ein sehr wirksames Diabetes-Medikament. Da es den Appetit zügelt, ist es in jüngerer Zeit auch als Diät-Mittel bekannt geworden und wird zu diesem Zweck entsprechend nachgefragt. Das aber wirkt sich offensichtlich deutlich nachteilig auf die Verfügbarkeit in den Apotheken aus. Der Vorsitzenden des Landesapothekerverbandes Thüringen, Stefan Fink, sah sich daher Ende August 2023 zu einer deutlichen Stellungnahme veranlasst (https://www.tlz.de/leben/gesundheit-medizin/abnehmhype-auf-kosten-von-diabetikern-chef-des-thueringer-apothekerverbandes-warnt-id239306189.html).
Zur Thematik Lieferengpässe informiert das BfArM allgemein auf seiner Internetseite:
„Grundsätzlich muss zwischen Lieferengpässen und Versorgungsengpässen unterschieden werden.
Ein Lieferengpass ist eine über voraussichtlich zwei Wochen hinausgehende Unterbrechung einer Auslieferung im üblichen Umfang oder eine deutlich vermehrte Nachfrage, der nicht angemessen nachgekommen werden kann.
Wird ein Lieferengpass gemeldet, prüft das BfArM, ob es sich um ein versorgungsrelevantes Arzneimittel handelt. Hierbei ist insbesondere von Bedeutung, ob Alternativpräparate für die Therapie zur Verfügung stehen und sich diese Arzneimittel zurzeit auf dem Markt befinden.
Ein Lieferengpass muss daher nicht gleichzeitig ein Versorgungsengpass sein, da oftmals alternative Arzneimittel zur Verfügung stehen, durch die die Versorgung der Patientinnen und Patienten weiter sichergestellt werden kann.
Die Informationen zu gemeldeten Lieferengpässen, die in der Lieferengpassdatenbank des BfArM abrufbar sind, enthalten daher auch Hinweise zu möglichen Alternativpräparaten.
Was ist ein Versorgungsmangel?
Auf Basis der Erkenntnisse des BfArM und unter Einbeziehung der Landesbehörden kann das Bundesministerium für Gesundheit einen Versorgungsmangel nach § 79 Absatz 5 Arzneimittelgesetz (AMG) feststellen. Bei dieser Feststellung handelt es sich um eine Ausnahmeermächtigung in versorgungskritischen Situationen, die nach sehr strengen Kriterien zu treffen ist und immer eine risikobasierte Prüfung beinhaltet. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass die Landesbehörden/Aufsichtsbehörden im Einzelfall und befristetet von bestehenden Vorgaben des Arzneimittelgesetzes abweichen dürfen. Die Feststellung erfolgt durch eine Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit, die im Bundesanzeiger veröffentlicht wird.
Im Fall von kritischen Lieferengpasssituationen bleibt den Apotheken oft nur das bürokratisch komplexe Verfahren der Einzelimporte, das in der Regel eine mehrtägige Vorlaufzeit für die Belieferung der individuellen Verschreibung bedeutet.
Eine Bekanntmachung nach § 79 Absatz 5 des Arzneimittelgesetzes ermöglicht die Versorgungsmöglichkeiten im Bedarfsfall zu flexibilisieren.
Konkret dürfen die zuständigen Landesbehörden auf dieser juristischen Grundlage gestatten, dass beispielsweise Import-Arzneimittel in Verkehr gebracht werden, die in Deutschland nicht zugelassen sind.
Des Weiteren werden die Aufsichtsbehörden der Bundesländer ermächtigt Chargen von Arzneimitteln freizugeben, auch wenn diesen nicht die letztgenehmigte Version der Packungsbeilage beiliegt. Auch das Inverkehrbringen eines Arzneimittels in fremdsprachiger Aufmachung kann zugelassen werden sowie das Inverkehrbringen von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln, sofern sie in dem Staat rechtmäßig in Verkehr gebracht werden dürfen, aus dem sie in den Geltungsbereich des deutschen Arzneimittelgesetzes verbracht werden.
Sobald die regelhafte bedarfsgerechte Verfügbarkeit wieder gewährleistet ist, wird die Ausnahmeermächtigung vom Bundesministerium für Gesundheit wiederum per Bekanntmachung aufgehoben.
Was sind die Gründe für Lieferengpässe?
Lieferengpässe können allgemein ganz unterschiedliche Ursachen haben.
Häufig sind Produktionsprobleme der Auslöser für einen Lieferengpass, zum Beispiel, wenn Herstellungsprozesse aufgrund von Qualitätsproblemen umgestellt werden, Ware nicht freigegeben werden kann oder wegen einer gestiegenen Nachfrage die Kapazitäten erhöht werden müssen.
Vor allem, wenn beispielsweise für einen Wirkstoff oder ein Zwischenprodukt nur wenige Hersteller vorhanden sind, besteht ein erhöhtes Risiko, dass sich ein Lieferengpass zu einem Versorgungsengpass entwickeln kann.
Wie werden Lieferengpässe gemeldet?
Die Meldungen erfolgen durch die pharmazeutischen Unternehmer an das BfArM und werden der Öffentlichkeit in einer Datenbank, die eine umfassende Übersicht zu Lieferengpassmeldungen für Humanarzneimittel (ohne Impfstoffe) in Deutschland enthält, zur Verfügung gestellt.“
Zu dem hier in Rede stehenden Lieferengpass des Produkts hat dessen Hersteller schon im März 2023 ein Informationsschreiben für Ärztinnen/Ärzte veröffentlicht, demzufolge es für „Ozempic“® therapeutische Alternativen gibt.
Und auf die insgesamt unbefriedigende Situation hat der Gesetzgeber mit einer im Juni 2023 beschlossenen Arzneimittelreform reagiert. Über die Einzelheiten des „Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln“ (ALBVVG) informiert eine Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/bundestag-beschliesst-arzneimittelreform-pm-23-06-23.html
Über all dies informierte der Bürgerbeauftragte die Bürgerin und riet, dass sich ihr Mann wegen eines möglichen Alternativpräparates mit seinem behandelnden Arzt in Verbindung setzen möge. Und er erläuterte auch, dass es ihm nicht möglich ist, auf die geschilderte Situation selbst unmittelbar Einfluss zu nehmen, die zuständigen Stellen (Bundesgesetzgeber, BfArM) aber wie geschildert gegensteuern.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, die wir beraten, behalten wir uns vor, bei den geschilderten Fällen auf Namen und Ortsangaben zu verzichten oder sie so abzuwandeln, dass eine Identifikation ausgeschlossen werden kann. Zur besseren Verständlichkeit verzichten wir auf eine exakte Darlegung der Rechtslage, sind aber gerne bereit, diese auf Nachfrage zu erläutern.
Stand: 2023