Seit 44 Jahren in Deutschland und dennoch zur Bundestagswahl nicht rechtzeitig eingebürgert - ein Beispiel für Verwaltungshandeln, wie es nicht sein soll !
Die Bundestagswahl ist noch nicht lange vorbei und manchem erscheint es fast selbstverständlich, wahlberechtigt zu sein. Allerdings - für eine seit 44 Jahren in Deutschland lebende französische Staatsbürgerin, die lange vor dem Wahltermin die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt hatte, war es ein unerwarteter Hürdenlauf. Da ihr bei ihrem Einbürgerungsverfahren die Zeit davonzulaufen drohte, wandte sie sich hilfesuchend an den Bürgerbeauftragten.
Art. 38 Abs. 2 des Grundgesetzes und Paragraph 12 des Bundeswahlgesetzes bestimmen: Alle Deutschen, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet haben, seit mindestens drei Monaten in Deutschland wohnen und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, dürfen den Deutschen Bundestag wählen.
Also hatte die Frau bereits im Oktober 2020 bei dem für sie zuständigen Standesamt die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt. Sie nahm an, somit rechtzeitig genug zu sein, um an der Bundestagswahl am 26. September 2021 als deutsche Staatsbürgerin teilnehmen zu können. Das Standesamt gab ihr daraufhin – ohne weitere Erklärung - einen Termin für den 02. März 2021. In ihrer Erwartung, dass das Standesamt ihr in der Zwischenzeit die nötigen Formulare zusenden würde, damit sie bis dahin die erforderlichen Dokumente zusammenstellen konnte, wurde die Bürgerin enttäuscht. Und zum Termin, der pandemiebedingt nur telefonisch stattfand, wurde ihr lediglich mitgeteilt, dass man ihr nun die einschlägigen Unterlagen senden würde. Bürgerin und Amt vereinbarten einen weiteren Termin zur persönlichen Abgabe der Unterlagen beim Standesamt für Mai 2021, also 7 Monate nach der ersten Anfrage.
Bei dem Termin im Mai legte die Bürgerin dann alle Dokumente, Urkunden, Belege vor und konnte die Sachbearbeiterin auch von ihren Deutschkenntnissen überzeugen - die Bürgerin hatte in Frankreich und Deutschland Germanistik studiert, ist von Beruf Dolmetscherin, zudem ermächtigte Übersetzerin für Gerichte und Notare für die französische Sprache und war etliche Jahre Lehrbeauftragte für Französisch an drei Universitäten. All dies, so meinte die Bürgerin, sollte genügen.
Doch die Bearbeiterin beim Amt war sich nicht sicher: sie konnte nicht entscheiden, ob die Antragstellerin den Einbürgerungstest zu absolvieren habe oder nicht, denn – so die Begründung der Mitarbeiterin – sie wisse nicht, ob die Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftslehre und der Lebensverhältnisse in Deutschland erbracht seien. Für dieses Zaudern fehlte der Bürgerin nun jedes Verständnis, lebte sie doch bereits seit 44 Jahren in Deutschland, übte ihren Beruf bei Gerichten und in der Privatwirtschaft aus und war seit 39 Jahren mit einem Deutschen verheiratet, was so alles auch in ihrem eingereichten 4-seitigen Lebenslauf stand. Das Amt hatte diesen aber offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Immerhin wurde ihr dann - nach Rücksprache mit dem Thüringer Landesverwaltungsamt und dem Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales! - mitgeteilt, dass aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände und ihrem beruflichen Werdegang auf den Einbürgerungstest verzichtet werde. Doch wiederum war viel Zeit vergangen…
Ihrem Ziel, als wahlberechtigte deutsche Staatsbürgerin an der diesjährigen Bundestagswahl teilnehmen zu können, war die Bürgerin damit zwar ein kleines Stück näher gekommen, jedoch immer noch nicht am Ziel. Denn auf ihre Frage, wann denn das Verfahren abgeschlossen sein und sie die Einbürgerung erhalten werde, hieß es vom Amt, dass dies – infolge personeller Unterbesetzung und der Bearbeitung nach Reihenfolge der Eingänge der Anträge - noch ein Jahr(!) dauern würde.
Mit dieser Aussage mochte sich die Bürgerin nun nicht mehr abfinden, zumal das Verfahren einer Freundin, ebenfalls französische Staatsangehörige mit fast identischem Lebenslauf, im Jahr 2020 in Niedersachsen von der ersten Anfrage bis zur Aushändigung der Einbürgerungsurkunde nur 5 Monate gedauert hatte. Deshalb erbat sie Unterstützung beim Bürgerbeauftragten mit dem Ziel, dass ihr Verfahren bis zum Stichtag für die Eintragung in das Wahlregister am 15. August 2021 abschließend bearbeitet sein möge.
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Lösungsansatz und Ergebnis:
Der Bürgerbeauftragte setzte sich sofort im Sinne des vorgetragenen – und aus seiner Sicht sehr nachvollziehbaren Anliegens - mit dem zuständigen Amtsleiter der betroffenen Behörde in Verbindung.
Dieser mühte sich mit einer Erklärung: beim zu fordernden Nachweis der Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftslehre und der Lebensverhältnisse in Deutschland handele es sich nicht um eine Ermessensentscheidung der Einbürgerungsbehörde, sondern diese sei an gesetzliche Vorgaben, Anwendungshinweise, Verwaltungsvorschriften und Runderlasse gebunden, die grundsätzlich abschließend regeln würden, was als Nachweis für die staatsbürgerlichen Kenntnisse im Einbürgerungsverfahren anerkannt werden dürfe. Ausnahmen hiervon bedürften in Thüringen nun mal der Zustimmung der übergeordneten Behörden. Bei allen Verfahren seien überdies umfangreiche Ermittlungen und die Beteiligung einer Vielzahl von Behörden durchzuführen. Und die Anträge auf Einbürgerung würden grundsätzlich chronologisch nach Eingang bearbeitet, was dem grundgesetzlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz entspreche. Aufgrund ständig steigender Antragszahlen, der erhöhten Nachfrage nach Beratungs- und Abgabeterminen für die Einbürgerung, des bestehenden Arbeitsrückstandes und der prekären Personalsituation in der Einbürgerungsbehörde (2 Mitarbeiter) sei alles in allem leider keine zeitnahe Bearbeitung der Einbürgerungsanträge möglich. Und außerdem hätte die schon seit 44 Jahren in Deutschland lebende Bürgerin ihre Einbürgerung ja auch schon viel früher beantragen können.
Diesen Hinweis, den die Bürgerin als sehr anmaßend empfand, hatte sie sich bereits von der Sachbearbeiterin im Amt geben lassen müssen. Und bereits da hatte sie darauf geantwortet: ihr Vater sei ein in Frankreich geehrter Widerstandskämpfer und drei seiner Freunde KZ-Insassen in Buchenwald und Sachsenhausen gewesen. Das Einbürgerungsverfahren habe sie deshalb nicht zu Lebzeiten ihres Vaters einleiten wollen. Dieser sei in 2020 95jährig verstorben, woraufhin sie wenige Monate später den Antrag gestellt habe.
Doch selbst die Mitteilung dieser Hintergründe gegenüber der Behörde führte nicht zu beschleunigten Aktivitäten, so dass die Frau letztlich nicht an der Bundestagswahl teilnehmen konnte.
Dieser Sachverhalt, in dem selbst der Bürgerbeauftragte nichts ausrichten konnte, steht exemplarisch dafür, wie Verwaltung nicht arbeiten sollte und dass es mitunter an der nötigen Sensibilität mangelt.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, die wir beraten, behalten wir uns vor, bei den geschilderten Fällen auf Namen und Ortsangaben zu verzichten oder sie so abzuwandeln, dass eine Identifikation ausgeschlossen werden kann. Zur besseren Verständlichkeit verzichten wir auf eine exakte Darlegung der Rechtslage, sind aber gerne bereit, diese auf Nachfrage zu erläutern.