Adoptiert zur NS-Zeit: Bürgerbeauftragter verhilft zu Namensänderung
Eine Bürgerin wandte sich mit der dringenden Bitte um Unterstützung bei einer beantragten Namensänderung an den Bürgerbeauftragten.
Ihr sehnlichster Wunsch war es, den Namen ihrer leiblichen Mutter ihrem Nachnamen hinzuzufügen. Sie selbst war im Jahr 1938 im Alter von 2 Jahren adoptiert worden und trug seitdem den Nachnamen ihrer Adoptiveltern. Erst im Alter von ca. 15 Jahren erfuhr sie offiziell von der Adoption und bekam ihre Geburtsurkunde ausgehändigt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man in ihrer Umgebung nur hinter vorgehaltener Hand von der stattgefundenen Adoption gesprochen. In der mit dem Hakenkreuz-Stempel gesiegelten Geburtsurkunde von 1936 wurde ihre Mutter als „unverehelichtes Hausmädchen“ bezeichnet. Nicht zuletzt auch der Hintergrund der lange verschwiegenen Adoption und die damit verbundene gefühlte Stigmatisierung ließen keine wirkliche Nähe zwischen der Bürgerin und ihren Adoptiveltern entstehen. Da sie unbedingt den Grund dafür, warum ihre Mutter sie zur Adoption freigegeben hatte, und auch mehr über ihre leibliche Mutter erfahren wollte, versuchte sie schon zu DDR-Zeiten, weitere Informationen zum Adoptionsvorgang und zur Mutter zu bekommen. Diese Bemühungen scheiterten jedoch wiederholt und irgendwann bliebt ihr der Zugang zu Informationen über ihre Herkunft völlig verwehrt.
Nach der friedlichen Revolution 1989 erneuerte sie die Versuche, ihre Mutter zu finden, erfuhr aber erst im Jahr 2017, dass ihre Mutter wieder geheiratet und den Namen ihres Mannes angenommen hatte, aber im Jahr 2000 bereits verstorben war. Trotz zahlreicher Recherchebemühungen in Archiven von Gerichten, Behörden, Waisenhäusern und Kirchen fand sie jedoch keine Unterlagen zur Adoption selbst, obwohl die Archive ansonsten lückenlos schienen.
Weil die Bürgerin, auch durch die intensive, ihr Leben zu einem Großteil bestimmende Suche nach ihrer Mutter, eine tiefe innere Bindung zu ihr entwickelt hatte, beantragte sie beim zuständigen Standesamt 2017 die Hinzufügung ihres Geburtsnamens zu ihrem Adoptionsnamen. Dies geschah nicht zuletzt aus einem Gedanken der Dankbarkeit und Erinnerung an ihre Mutter heraus, deren Name wenigstens eines Tages mit auf ihrem Grabstein stehen und nicht in Vergessenheit geraten solle.
Das zuständige Standesamt mochte den Wunsch der Bürgerin, ihrer Mutter deren Namen und damit etwas Würde „zurückzugeben“ bzw. sie wieder „namhaft“ zu machen, jedoch überhaupt nicht folgen und traktierte die alte Dame mit immer neuen Forderungen nach nachzureichenden Unterlagen, u.a. psychologische Gutachten. Hierdurch zermürbt, suchte die Bürgerin Hilfe beim Bürgerbeauftragten.
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Lösungsansatz und Ergebnis:
Der Bürgerbeauftragte prüfte zunächst die Rechtslage.
Eine Namensänderung kann und soll in der Regel nur nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften durch familienrechtliche Vorgänge erfolgen und ist nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen nur im Ausnahmefall möglich, nämlich dann, wenn ein „wichtiger Grund“ für die Namensänderung vorliegt.
Der Name bestimmt die Identität einer Person. Um jederzeit identifizierbar zu sein, bestimmt das Bürgerliche Gesetzbuch (§§ 1616 ff BGB), wie die Namensführung im Einzelfall geregelt ist. Das BGB knüpft dabei an familienrechtliche Vorgänge an. Die Geburt, Eheschließung, Ehescheidung, Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, die Feststellung der Abstammung oder die Adoption bieten Anlass, die Namensführung einer Person zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern.
Der Gesetzgeber geht davon aus, dass mit diesen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen die Namensführung abschließend geregelt ist. Daraus ergibt sich, dass die öffentlich-rechtliche Namensänderung die Ausnahme bleiben soll und nicht dazu genutzt werden darf, die vom bürgerlichen Recht vorgegebenen Grundsätze der Namensführung zu umgehen.
Die öffentlich-rechtliche Namensänderung ist nur in besonderen Ausnahmefällen zur Beseitigung von Unzuträglichkeiten im Einzelfall möglich. So ist die Änderung des Familiennamens abhängig von dem Vorliegen eines wichtigen Grundes (§ 3 des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen – NamÄndG -). Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das schutzwürdige Interesse des Antragstellers an der Namensänderung gegenüber den entgegenstehenden schutzwürdigen Interessen anderer Beteiligter und den in den gesetzlichen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Grundsätzen der Namensführung überwiegt. Zu diesen gehören auch die soziale Ordnungsfunktion des Namens sowie das öffentliche Interesse an der Beibehaltung des Namens. Der Familienname ist ein wichtiges Identifizierungsmerkmal und es besteht grundsätzlich ein öffentliches Interesse an der Beibehaltung des Namens.
Dementsprechend beschränkt sich die Bedeutung der Namensänderung nach § 3 NamÄndG darauf, in Ausnahmefällen individuellen Unzuträglichkeiten der Namensführung Rechnung zu tragen. Daraus folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 3 Abs. 1 NamÄndG ein besonderes, die persönliche Situation der Namensträger prägendes Interesse verlangt, das den allgemeinen gesetzlichen Wertungen des familienrechtlichen Namensrechts nicht zuwiderläuft.
Im gegebenen Fall kam es also entscheidend darauf an, ob das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die von der Bürgerin angestrebte Namensänderung zu bejahen war. Im Gegensatz zum zuständigen Standesamt sah der Bürgerbeauftragte die Voraussetzungen für eine Namensänderung, die im Namensänderungsgesetz und der dazugehörigen Verwaltungsvorschrift niedergelegt sind, als gegeben an, und zwar aus folgendem Grund: Nach aktuellem Forschungsstand gehörte das Adoptionsrecht zur NS-Zeit zu den nahezu lückenlos durch Justiz, Verwaltung und NSDAP kontrollierten familienrechtlichen Rechtsgebieten. Deshalb musste aus Sicht des Bürgerbeauftragten mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die leibliche Mutter bei der Adoption nicht oder nur eingeschränkt frei gehandelt hat bzw. die Adoption unter Umständen stattfand, die nach heutigen Maßstäben als ethisch höchst bedenklich zu bewerten wären.
Auf diesen Kontext wies der Bürgerbeauftragte die zuständige Behörde sehr nachdrücklich hin und konnte so letztlich eine Sensibilisierung des Standesamtes für die besondere Thematik erreichen, so dass die Bürgerin Anfang 2019 ihren langersehnten Namenszusatz erhielt.