Information: Sozialstaatsprinzip, Pflichten der Sozialleistungsträger und sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes legt fest: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe nennen Juristen Sozialstaatsprinzip. Sie bedeutet, dass sich der Staat auch um soziale Gerechtigkeit und die soziale Sicherheit der Bürger kümmern muss. Diese Verpflichtung haben das Bundesverfassungsgericht und der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen konkretisiert. Leitgedanke dabei: eine gerechte Sozialordnung, in der (sozial) schwächere Menschen Hilfe, Unterstützung und Beistand erhalten, und zwar auch bei der Geltendmachung ihrer Rechte.
Nun gibt es sehr viele sozialrechtliche Vorschriften, die häufig auch ziemlich kompliziert sind. Die Fachbehörden kennen sich damit gut aus, die Bürger aber in der Regel nicht. Damit ihnen daraus keine Nachteile entstehen, sind für den Sozialleistungsbereich in den §§ 13 – 15 des Sozialgesetzbuches Erster Teil (SGB I) Informations-, Beratungs- und Unterstützungspflichten der Behörden festgelegt:
1. Sozialleistungsträger sind verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach dem SGB aufzuklären.
2. Jeder hat (also) Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach dem SGB. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind.
3. Die Sozialbehörden und die Träger der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind verpflichtet, über alle sozialen Angelegenheiten nach dem SGB Auskünfte zu erteilen. Die Auskunftspflicht erstreckt sich auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für die Auskunftssuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die Auskunftsstelle imstande ist. Die Auskunftsstellen sind verpflichtet, untereinander und mit den anderen Leistungsträgern mit dem Ziel zusammenzuarbeiten, eine möglichst umfassende Auskunftserteilung durch eine Stelle sicherzustellen.
Doch was nützt die beste Verpflichtung, wenn sie unter Umständen nicht eingehalten wird und einem Bürger dadurch ein Nachteil entsteht?
Deshalb gibt es den sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruch: Hat eine Behörde ihre Pflicht zur Aufklärung (§ 13 SGB I), Beratung (§ 14 SGB I) und zur Erteilung von Auskünften (§ 15 SGB I) verletzt, hat der Bürger einen Anspruch darauf, dass er so gestellt wird, als hätte die Behörde korrekt gehandelt. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt also eine Pflichtverletzung des Sozialleistungsträgers voraus, die zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geführt hat. Meistens geht es darum, dass infolge des Fehlers der Behörde eine eigentlich zustehende Sozialleistung gar nicht, nicht in der richtigen Höhe oder nicht im richtigen zeitlichen Umfang gewährt wurde.
Beispiel: Eine Hinterbliebene macht ihren Rentenanspruch mehrere Jahre lang nicht geltend, weil sie die (falsche) Auskunft erhalten hatte, dass die Anwartschaftszeiten nicht erfüllt seien. Dann wäre ihr die Rente nachzuzahlen, die bei richtiger Beratung und entsprechender Antragstellung gezahlt worden wäre.
Ob die Geltendmachung des Anspruchs im Einzelfall Aussicht auf Erfolg hat, hängt von den konkreten Umständen ab und erfordert eine entsprechende Darlegung der Voraussetzungen durch den Bürger. Das bedeutet auch, dass die bloße Behauptung, dass eine falsche oder fehlerhafte z.B. Auskunft oder Beratung erfolgt ist, nicht ausreicht, sondern entsprechende Nachweise hierfür erbracht werden müssen. Insoweit können Zeugen oder Gesprächsvermerke, die zur Verfahrensakte genommen wurden, ggf. als solche Nachweise dienen.
Wenn Sie mehr zum Sozialrecht im Allgemeinen wissen möchten, schauen Sie auch unser Video „Das Sozialrecht und wie es dir hilft“ an: https://www.buergerbeauftragter-thueringen.de/aus-meiner-arbeit/erklaervideos