… Wenn sich selbst der Bürgerbeauftragte die Zähne ausbeißt…: der Begriff „öffentliche“ Sicherheit unterschiedlich betrachtet.
Voller Unbehagen und Sorge wurde ein Bürger beim Bürgerbeauftragten vorstellig und schilderte eine ihn und andere Mitglieder seines Vereins betreffende Gefahrensituation: Das im Bereich einer Hanglage gelegene Vereinsgelände grenze direkt an ein Waldgrundstück, auf dem sich zahllose abgestorbene, morsche, hohe Bäume befänden. Bei stärkerem Wind oder gar Sturm sei es, so der Bürger weiter, bereits mehrfach zum Hineinstürzen von derlei Bäumen in das Vereinsgelände gekommen. In einem Fall sei ein Vereinsmitglied nur ganz knapp mit dem Leben und unverletzt davongekommen, weil ihn der umstürzende Baum gerade so verfehlt habe. Gleichwohl hätten bereits etliche Gebäude auf dem Vereinsgrundstück Schaden genommen. Die örtliche Ordnungsbehörde weigere sich dennoch, gegen den Eigentümer des Waldgrundstückes einzuschreiten und ihn zur Beseitigung der Gefahrenlage zu verpflichten. Deshalb bat der Bürger nun den Bürgerbeauftragten dringlich um Unterstützung.
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Lösungsansatz und Ergebnis:
Der Bürgerbeauftragte wandte sich an das für die Fachaufsicht über die Ordnungsbehörde zuständige Ministerium für Inneres und Kommunales (TMIK). Zur Verblüffung des Bürgerbeauftragten zog sich jedoch auch das TMIK auf die so schon von der örtlichen Ordnungsbehörde vertretene Auffassung zurück, dass der Schutz privater Rechte den Ordnungsbehörden nur dann obliege, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen sei und wenn ohne ordnungsbehördliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. So stehe es in § 2 Abs. 1 Thüringer Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden (Ordnungsbehördengesetz — OBG). Das Grundstück des Vereins sei ein Privatgrundstück, so dass Auswirkungen von außen auf das Grundstück wie das Herabstürzen der Bäume keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellten. Insbesondere sei nicht die Allgemeinheit betroffen, wie dies bspw. bei Gehwegen der Fall sei. Deshalb handele es sich ausschließlich um eine privatrechtliche Angelegenheit, so dass Ansprüche auf dem Zivilrechtsweg durchzusetzen seien.
Diese Beurteilung des Sachverhaltes teilte der Bürgerbeauftragte nicht, sondern vertrat dezidiert eine andere Rechtsauffassung. Denn gemäß § 2 des oben schon benannten OBG haben die Ordnungsbehörden die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch Abwehr von Gefahren und durch Unterbindung und Beseitigung von Störungen aufrechtzuerhalten. Zwar obliegt der Schutz privater Rechte den Ordnungsbehörden nach diesem Gesetz in der Tat nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne ordnungsbehördliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde (sog. Subsidiaritätsgrundsatz).
Höchst zweifelhaft erschien aus Sicht des Bürgerbeauftragten aber, inwieweit es im gegebenen Sachverhalt überhaupt noch um den Schutz „privater Rechte“ ging. Gemäß § 54 Nr. 1 OBG umfasst das Schutzgut der „öffentliche Sicherheit“ nämlich die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie des Bestandes, der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger von Hoheitsgewalt. Zum ordnungsrechtlichen Schutzgut gehört also auch die Unverletzlichkeit der Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen. Diese Einbeziehung des Schutzes des Einzelnen in die Aufgabe der Ordnungsbehörden hat wegen der Gefahr der Überdehnung des Tatbestandes Veranlassung gegeben, neben den übrigen tatbestandlichen Voraussetzungen zusätzlich das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des ‚öffentlichen Interesses‘ einzuführen, dem ein Tätigwerden der Ordnungsbehörde insoweit dienen muss.
Soweit es – wie hier – um den Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit geht, liegt der Schutz dieser Rechtsgüter aber immer (auch) im öffentlichen Interesse. Denn jeder hat das Recht auf Leben und Gesundheit (Artikel 2 Abs. 2 Grundgesetz) und der Staat hat dieses Recht in der Weise zu schützen, dass er es vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer bewahrt. Das ist somit nicht allein Gegenstand des individuellen Interesses des gerade Betroffenen, sondern ebenso eines inhaltsgleichen öffentlichen Interesses aller an seinem Schutz, das in der Grundrechtsnorm seinen Ausdruck findet. Und wie die stattgefundenen Baumstürze bereits belegt hatten, bestand im Hinblick auf die o.g. Rechtsgüter fortlaufend eine Gefahr i.S.d. Ordnungsrechtes. Deshalb war nach Überzeugung des Bürgerbeauftragten der Aufgabenbereich der Ordnungsbehörde sehr wohl eröffnet mit der Folge, dass sie gemäß § 5 Abs. 1 OBG die Befugnis hatte, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die hier bestehende Gefahr abzuwehren.
Weil das Thüringer Bürgerbeauftragtengesetz (ThürBüBG) nun aber kein Beanstandungsrecht des Thüringer Bürgerbeauftragten vorsieht, so dass der Bürgerbeauftragte stets „nur“ mit der Überzeugungskraft fachkundiger Argumente wirken kann, bestanden für ihn hier keine (weiteren) Einwirkungsmöglichkeiten auf das TMIK oder gar die örtliche Ordnungsbehörde. Er setzte das TMIK jedoch von seiner abweichenden Sicht der Dinge in Kenntnis und bat darum, die bislang vertretene Rechtsauffassung unter Berücksichtigung der vorgetragenen Argumentation zu überdenken und doch noch fachaufsichtliches Tätigwerden in Betracht zu ziehen.
Einige Zeit später teilte der Bürger auf Nachfrage mit, dass der Eigentümer des benachbarten Waldgrundstücks das Schadholz doch noch entfernt hatte – ob aufgrund behördlicher Vorgaben oder aufgrund eigener Initiative blieb unbekannt.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, die wir beraten, behalten wir uns vor, bei den geschilderten Fällen auf Namen und Ortsangaben zu verzichten oder sie so abzuwandeln, dass eine Identifikation ausgeschlossen werden kann. Zur besseren Verständlichkeit verzichten wir auf eine detaillierte Darlegung der Rechtslage, sind aber gerne bereit, diese auf Nachfrage zu erläutern.
Stand: 2024