Rücknahme eines Widerspruchs unter eine Bedingung gestellt – möglich?
Ein Bürger war Eigentümer eines im 18. Jahrhundert erbauten, denkmalgeschützten Hauses, das durch einen aus Natursteinen gefertigten Kanal mit dem nahegelegenen Bach verbunden war. Dieser Kanal diente seit jeher der Entwässerung des Grundstücks und funktionierte tadellos. Nachdem vor Ort allerdings grundhafte Straßenausbauarbeiten stattgefunden hatten, stand der ebenfalls zum Gebäude gehörende Gewölbekeller nach stärkeren Regenfällen unter Wasser, was zuvor nie vorgekommen war. Deshalb argwöhnte der Bürger, dass beim Ausbaggern im Zuge der Straßenausbaumaßnahme der Kanal zerstört, mindestens aber beschädigt worden war. Als der Bürger dann von der Gemeinde den auf diese Straßenausbaumaßnahmen bezogenen Bescheid zur Erhebung eines Straßenausbaubeitrages erhielt, legte er erst einmal Widerspruch ein. Letztlich zahlte er aber dann doch den geforderten Betrag und nahm auch seinen Widerspruch zurück, dies allerdings verbunden mit der Forderung, dass die Gemeinde den zerstörten Kanal wieder herstellt.
Die Gemeinde war zunächst nicht bereit, diese Forderung zu erfüllen und leitete deshalb das Schreiben des Bürgers, in dem dieser unter der o.g. Bedingung die Rücknahme seines Widerspruchs erklärt hatte, zur weiteren Bearbeitung an die Kommunalaufsichtsbehörde weiter. Von dort bekam der Bürger dann nach einer Weile einen Widerspruchsbescheid, mit dem sein Widerspruch kostenpflichtig zurückgewiesen wurde. Dies konnte der Bürger überhaupt nicht nachvollziehen, war er doch der Meinung, seinen Widerspruch bereits zurückgenommen gehabt zu haben.
Als dann wenig später die Gemeinde einsichtig wurde und sich bereit erklärte, den Schaden am Kanal auf eigene Kosten zu beseitigen, sah der Bürger die von ihm seinerzeit gestellte Bedingung zur Zufriedenheit erfüllt. Deshalb bat er – aus seiner Sicht folgerichtig – die Kommunalaufsicht um eine Überprüfung ihrer kostenpflichtigen Zurückweisung des Widerspruchs. Die Kommunalaufsicht blieb jedoch bei ihrer Entscheidung und war nicht bereit, eine Korrektur vorzunehmen, denn die Rücknahme des seinerzeitigen Widerspruches habe nicht unter eine Bedingung gestellt werden dürfen. Deshalb sei eine Rücknahme des Widerspruches nicht wirksam erfolgt und somit über den Rechtsbehelf zu entscheiden gewesen.
Vor diesem Hintergrund wandte sich der Bürger, der sich zwischen Gemeinde und Kommunalaufsicht in einer „Zwickmühle der ungerechtfertigten Behandlung“ sah, an den Bürgerbeauftragten und bat zu prüfen, ob sich hier Widerstand lohne bzw. alles korrekt gelaufen sei.
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Lösungsansatz und Ergebnis:
Der Bürgerbeauftragte konnte zwar sehr gut nachvollziehen, dass die beiden von dem Bürger benannten Sachverhalte ‚Widerspruch gegen Ausbaubeitrag‘ – ‚Beschädigung des Kanals und Reparatur‘ für ihn ideell zusammenhängen. Allerdings ist die Einlegung eines Widerspruches eine rechtsgestaltende, formale Handlung, da sie das verwaltungsprozessuale Vorverfahren/Widerspruchsverfahren in Gang setzt. Dafür gelten besondere Regeln. Das Bundesverwaltungsgericht formulierte dazu in einem Urteil vom 16.08.1995 (Az.: 11 C 2.95):
„(…) Für das Prozeßrecht ist allgemein anerkannt, daß Parteihandlungen wie die Erhebung eines Anspruchs durch Klage oder Eilantrag, die Einlegung eines Rechtsmittels, die Rücknahme einer Klage oder eines Antrags grundsätzlich nicht an den Eintritt einer Bedingung geknüpft werden dürfen. Dies gilt uneingeschränkt, soweit die Verknüpfung sich auf ein außerprozessuales künftiges Ereignis bezieht. Die Abhängigkeit einer Parteihandlung von einem solchen Ereignis würde sich nicht mit der Bedeutung vertragen, die diese Handlung für den Gegner, aber auch für das Gericht hat. Ihre Folgen dürfen aus Gründen der Rechtssicherheit nicht ins Ungewisse gestellt werden (so bereits …)
Diese Grundsätze haben nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 57, 342 <346 f.>) auch für das Widerspruchsverfahren als förmlich ausgestaltetes Rechtsbehelfsverfahren Gültigkeit: Einlegung und Rücknahme des Widerspruchs sind im Interesse der Rechtssicherheit einer Bedingung oder einer Anfechtung wegen Willensmängeln nicht zugänglich, gleichgültig, ob das Widerspruchsverfahren insgesamt dem Verwaltungsstreitverfahren oder dem Verwaltungsverfahren zuzurechnen ist oder ob ihm der Charakter eines Verwaltungsverfahrens zukommt, das zugleich dem Verwaltungsprozeßrecht angehört. An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat fest.(…)“
Die Einlegung oder auch Rücknahme eines Widerspruches ist also – wie die Juristen sagen - bedingungsfeindlich. Weniger formal ausgedrückt: Mit der Einlegung eines Widerspruches gegen einen behördlichen Bescheid wird ein formales Verwaltungsverfahren (das sog. verwaltungsprozessuale Vorverfahren) in Gang gesetzt. Innerhalb dieses Verfahrens wird der erlassene Bescheid zunächst von der Ausgangs- und dann von der nächsthöheren Behörde auf seine Richtigkeit und die Frage geprüft, ob der Bürger durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt ist. Angesichts dessen muss es einleuchten, dass weder die Einlegung eines Widerspruches noch seine Rücknahme vom Bürger an Bedingungen geknüpft und einer Art „wenn-dann-Handel wie auf dem Basar“ unterworfen werden kann.
Die von dem Bürger erklärte Rücknahme seines Widerspruches war deshalb nicht wirksam und der Rechtsbehelf somit von der Kommunalaufsicht zu bearbeiten gewesen.
Zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, die wir beraten, behalten wir uns vor, bei den geschilderten Fällen auf Namen und Ortsangaben zu verzichten oder sie so abzuwandeln, dass eine Identifikation ausgeschlossen werden kann. Zur besseren Verständlichkeit verzichten wir auf eine detaillierte Darlegung der Rechtslage, sind aber gerne bereit, diese auf Nachfrage zu erläutern.
Stand: 2024